Henry - Audio

November 2022. RE 48, 17:18 ab Frankfurt West. Gestrandet 500m vor dem Bahnhof Eschersheim. Ich weiß nicht recht, wie Leute in so einer Phase die Laune hoch halten, wenn sie nicht zufällig dafür bekannt sind, als Poetry Slammer im gestrandeten Zug Texte übers Warten im gestrandeten Zug zu schreiben.

Warten im Zug

Zugspitze. Fahrradabteil.
Nur ein paar Augenblicke, dann
komm ich bei dir am Bahnhof an.
Der Zug drückt kräftig auf die Tube,
ich freu mich mächtig auf die Stube.

Da… macht der Zug kurz vor dem Halt halt.
Dort… wo Nebel durch den Wald wallt.

Der Mitfahrer, der grad noch still stand,
wird nervös durch diesen Stillstand.

„Setzen Sie sich, das kann dauern!“,
sagt der Schaffner mit Bedauern.
Wir haben hier als Schaffner in
dem Zugteil eine Schaffnerin.

Sie kommt vorbei
und sagt: „Vorbei!
Vor uns ein Personenschaden!“
Es gehört zu den echt schweren Themen,
wenn Personen Schaden nehmen.
In der Sekunde sowie sekundär,
kann das auch Personen schaden,
die im Zug zu großen Teilen
zu Arbeit oder Liebsten eilen.

Wir stellen fest:
wir stecken fest.

Das Notfallmanagement sagt: nichts…
Mein Krisenmanagement sagt: dicht‘s
in ein paar Zeilen, die gut klingen,
um die Zeit gut rum zu bringen.

Die Zeit vergeht,
die der Zug steht.

Wir stehen eine runde Stunde.
Gesprächsfetzen am Telefon.
Manch einer stunde
seine Pläne, für den Abend habend,
auf… ja wann denn dann?

Im Zug, merken wir zügig,
ist es heut‘ hier eher zugig.
Die Lüftungsschächte fauchen wild,
von „Lüftung geht nicht“ keine Spur.
Die ersten Gäste fauchen wild,
von Lösung weiter keine Spur.

In Sachen Schaden abgebrüht,
bleibt die Schaffnerin bemüht.
Sie läuft tatsächlich Zug um Zug
einmal durch den ganzen Zug.
Den Teil, den sie begehen kann.
Wo man sie nicht sehen kann,
im Zugteil vor uns, sagt sie dann
von Zeit zu Zeit
via Lautsprecher Bescheid.
Wobei zu dem, was es an Fragen gibt,
es weiter nichts zu sagen gibt.

Wir warten.
Beim Warten werden Dinge ja durchschaut,
kaputte Teile ausgebaut
und hinterher läufts wieder besser.
Vielleicht ist Warten von Geräten,
von Beziehungen uns Städten,
eine and‘re Art von Warten,
als die, die eben wir erleben.
Aber, frag‘ ich motiviert:
was, wenn warten auch hier repariert?
Gedanken und das Stressempfinden,
durch die wir so oft Stress empfinden?

Ich muss mal raus aus diesem Zug.
Aus dem der Lüftung.
Denn das droht mit Mündung
In ‘ner Bindehautentzündung.

„Ding-Dong“, lässt die Hoffnung keinen,
Bald sei Schluss mit Warte-Reimen.
Die Schaffnerin klingt mitgenommen:
Sie habe grade mitbekommen,
eine Info sei gekommen.
Sie sagt, was uns hier eher stresst:
„Wir fahr‘n zurück nach Frankfurt West!“,
und fügt noch an:
„Ich weiß nicht, wann.“

Na dann…
Ein junger Mann
ruft nochmals an.
Wen hat er dran?
Die Töne sind von einem Kind,
von seinem Kind,
weil, als man laut und deutlich „Papa!“ hört,
was im Abteil alle betört.

Wir ruckeln los und fahren an.
Nicht voran, sondern zurück,
trotzdem bleibt gefühltes Glück.
Nach langer Zeit der Tatenlosigkeit
endlich wieder handeln können!
Das ist in Relation
zu der miesen Situation,
hilflos, sprachlos hoffen,
das behördliche Entscheidungen getroffen
werden und auf Erden Chancen endlich offen
sind, find ich im Sinne des Gedichts
ein relatives Nichts.

Der Zug wurde zurück gesetzt.
Jetzt hab ich auf das Glück gesetzt,
und bin zum S-Bahn-Gleis gehetzt.
Am Bahnsteig drängen Menschen dicht.
Ich als Dichter dränge dichter
als gewohnt und liebend,
nebenher das Fahrrad schiebend,
mittendurch und dran vorbei,
wobei ich unfallfrei ausweiche
und das S-Bahn-Gleis erreiche.

Umweg über Friedrichsdorf.
So plane ich, doch ahne ich…
der Anschluss wird nur knapp gelingen.
Da kann die Bahn ’n Lied von singen.

Ich halte fest: das Rad und mich,
am Fahrradstellplatz in der Bahn.
Die schaukelt manchmal wie ein Kahn,
aber immerhin: wir fahr‘n.

Aus dem Lautsprecher vertrautes Wort:
„Friedrichsdorf. Diese Zugfahrt endet dort!“
Ich denke schlicht: ich hoffe nicht.
Ich mahne mich: „Nicht alles schlecht seh‘n!“
Da! Da steht die RB 16!

Fahrrad-Platz am andern Ende.
Laufen, dann: fast Stimmungswende!
Menschenströme noch und nöcher
füllen alle Stehplatzlöcher.
Wie ein Schwall,
plötzlich Menschen überall!
Als die Welle durch die Türen brach
und sich dann dahinter brach
und sich im Zuge dessen
hier im Zuge, dessen
Platz nur klein, erstaunlich gut verlief,
kam ich, Glück darf auch mal sein,
auch mit dem Fahrrad noch hinein.

Jetzt glaub ich dran:
Ich glaub nicht dran,
zumindest hier und heute nicht,
sondern schaffe es nachhaus.

Menschen strömen aus dem Zug.
Manche haben heut‘ genug,
andere, die vorm Sprint erbleichen
wollen Anschlüsse erreichen.

Ich erkenne, stell‘ ich fest,
Mitgestrandete von Frankfurt West.
Wir sehn‘n uns an,
ob Frau, ob Mann,
Wir nicken, als wir anerkennen:
Wie gut, dass wir die Wege kennen.
Was brachte uns die Wende? Mut!
Woraufhin wir auch erkennen:
Am Ende wird doch alles gut.

Nach 4 Seiten und 3 Stunden,
mit Menschen schicksalhaft verbunden,
ist, es sieht jetzt danach aus,
das Gedicht jetzt danach aus.

Das Reimheim